Optimismus

Es ist Sonntag 10.30 Uhr. Der Gottesdienst ist gerade zu Ende. Alle Besucher:innen, etwa 20 Personen, stehen vor der Kirche und rauchen. Das ist ganz normal, denn es ist eine besondere Kirche: Sie steht in einem Gefängnis. Hier leben Menschen im offenen Strafvollzug. D.h. sie können tagsüber arbeiten gehen. Sonntags kommen auch Menschen von draußen zum Gottesdienst. Ich habe meinen Talar ausgezogen und gehe auf das Grüppchen zu, da ruft mir eine Frau zu: „Ihren Optimismus möchte ich haben! Obwohl, eigentlich reicht mir schon die Hälfte davon.“ Bevor ich etwas antworten kann, hat ihr etwa vierjähriger Sohn Jason, sie zurück in die Kirche gezogen. Dorthin wo ein großer Korb mit Spielsachen steht. Im Gottesdienst ging es um einen Vers aus dem Buch Jeremia:

„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jerm. 29,11).

Jetzt meldet sich der Vater des kleinen Jungen zu Wort: „Das meint sie nicht so“, sagt er, „oder … ja doch, eigentlich schon… aber sie meint, es nicht böse. Wissen Sie … ist gerade nicht einfach bei uns. Fünf unserer Kinder sind in Obhut. Und das ich jetzt hier im Knast bin, macht die Sache für das Jugendamt auch nicht besser. Sie hat einfach die Sorge, dass der Kleine auch noch ins Heim muss. Und Geld fehlt auch. Ist ja alles teurer geworden! Aber am meisten ist sie sauer auf mich, weil ich schon wieder Scheiße gebaut habe. Und ob ich an Weihnachten nach Hause komme, das steht noch in den Sternen! Aber Sie müssen das sagen als Pfarrer: Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

„Wissen Sie: „Wo noch Hoffnung ist, da gibt es kein Unterliegen´“, antworte ich mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer, der wegen Kritik am Nazi Regime verhaftet worden war. Im Gefängnis schreibt er: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation. Sondern: Es ist eine Lebenskraft, wo andere resignieren. Den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überlässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt.“

Inzwischen ist die Mutter mit dem Kleinen wieder aus der Kirche gekommen. Er bringt ein kleines Modellauto mit und fährt damit auf den Kirchenstufen herum. „Wie ist das jetzt eigentlich?“, will sie wissen, „Wenn Marcel, also mein Mann, an Heiligabend nicht zu Hause ist, können wir dann hier hinkommen? Ist hier was?“ „Ja“, sage ich. Das steht nicht in den Sternen, sondern schon fest. Um 17.00 Uhr geht es los. Und das erste Lied, das wir singen ist ´Stern über Bethlehem zeig uns den Weg`.“ Ich lasse das Grüppchen allein. Als die Besuchszeit zu Ende ist, und ich die Kirche abschließe, sehe ich das Modellauto noch auf den Stufen stehen. Ich hebe es auf und werde es einpacken. In Geschenkpapier. Für Jason, wenn er oder ein anderes Kind am 24. 12. da sein wird.

Dieser Beitrag wurde am 14.12.2022 bei Kirche im WDR gesendet.

Bild: Don Kaveen

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen