Kein Haus, kein Auto, keine Yacht

Erst ist es nur ein kleiner Fleck am Horizont, langsam kommt er näher. Ein Radfahrer wie sich herausstellt. Ich sitze auch auf dem Rad, kann kilometerweit über die Felder sehen, an deren Ränder der rote Mohn prachtvoll blüht. Irgendwas ist dennoch anders an diesem Typ, auf dem Fahrrad. Barfuß fährt er, mit nacktem Oberkörper, eine riesige Sporttasche quer auf dem Gepäckträger.

„Wo komm ich denn zum Rhein?“ ruft er mir zu und ich halte an. „Eigentlich ist die Richtung aus der Sie gerade kommen richtig, nach etwa drei Kilometern links halten,“ sage ich. Irgendwie hat er sich auf den Feldwegen verfranzt und ist im Kreis gefahren. Ohne Handy oder Navi ist es inzwischen schwierig mit der Orientierung. Und beides hat er nicht dabei, wie sich herausstellt. Ich lotse ihn einige Kilometer durch die schilderlose Gegend und bin natürlich neugierig:

„Zum Baden unterwegs?“frage ich etwas dämlich, aber erhalte überraschender Weise doch eine klare Antwort:

„Nein, ich will immer am Rhein entlang in die Schweiz und dann weiter ins Tessin. Ein Freund von mir hat da ein abgeschiedenes Haus. Ich will dort in Ruhe überlegen, wie es weitergeht.“

Sein Auto hat er verkauft, die Wohnung gekündigt, den Job hat er auch geschmissen. Alles was er noch besitzt, passt in die Sporttasche auf dem Gepäckträger.

Ich habe ein bisschen Mitleid, aber nicht sehr viel, denn er macht einen äußerst glücklichen Eindruck. Außerdem bin ich einwenig neidisch und überlege, wo meine alte Pilgerurkunde aus Santiago de Compostella eigentlich abgeblieben ist. Das ist doch der eigentliche Sinn des „Allein -unterwegs- seins“, denke ich: Sich klar werden, wie es weitergeht. Das macht man eigentlich viel zu wenig.

Auch wenn der Fremde weder Hape Kerkeling, noch Jesus ist, schenke ich ihm meine Wasserflasche, einen Müsliriegel und zehn Euro. Er nimmt dankend an.

„Gott befohlen!“ sage ich, „ und viel Rückenwind, besonders, wenn`s wieder mal bergauf gehen sollte. Und jetzt immer den Schildern Richtung Remagen folgen. Keine Angst, geht jetzt erst mal lange Zeit bergab.“

„Kann ich gebrauchen“meint er, „besonders den Rückenwind.

An Gott hab` ich aber schon ewig nicht mehr gedacht.“

„Er aber bestimmt an Sie!“ sage ich, schwinge mich auf´s Rad und fahre davon.

Dieser Beitrag erschien am 13.7.2020 bei Kirche im WDR:

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen