Lieder haben es in sich!
Weihnachtslieder allzumal!
„Es stellt sich ein besonderes, unverwechselbares Gefühl ein; das verliere ich nie.
Die Weihnachtslieder tragen mich jedes Jahr wieder in der Erfahrung des Besonderen“; so beschreibt ein Prominenter sein Empfinden. Selbst ein „Stille Nacht, heilige Nacht“ aus dem dumpfen Lautsprecher eine Kinderkarusells gehört wohl auch ein wenig zu diesem „Besonderen“.
Freilich gibt es auch andere Lieder, die etwas ähnliches hervorrufen, anders hätten die Chart Shows aus den 70er 80er und 90er Jahren ja auch keine Chance. Auch sie leben von einem „ach ja, damals-Gefühl“. Aber dieses „ach-ja-damals“ bezieht sich immer auf eine besondere, einmalige Situation. Gut zu beobachten ist dies an dem Sommermärchen Song aus dem letzten Jahr:
Sie erinnern sich: Ganz Deutschland sang: 54, 74, 90, 2010, ja da stimmen wir alle ein, mit dem Herz in der Hand, usw …. . Selbst wenn diese Hymne der „Sportfreunde“ wirklich 2010 nochmal ein Hit werden würde, es würde sich eben nicht dasselbe Gefühl einstellen, wie im Sommer 2006. So was ist nicht reproduzierbar. „Leider“, sagen die Fans; „zum Glück“, die Desinteressierten!
Mit Weihnachten ist das offenbar anders:
An Weihnachten ist das Besondere, dass es eine scheinbar identische Situation gibt. Eine identische Situation die sich gleichwohl jährlich wiederholt. An Weihnachten klingt in uns an, was wir sonst immer meiden, weil es nämlich leicht langweilig wird; an Weihnachten suchen wir das Besondere im Identischen.
„Das Besondere im Identischen“?
Was nach philosophischer Spitzfindigkeit klingt erweist sich bei näherem Hinsehen doch als äußerst konkret: Im Predigttext für den heutigen heiligen Abend gewinnt die Konkretion in einem Lied gestalt.
Genauer in einer Hymne.
Nicht so bekannt wie die der Sportfreunde; erst recht nicht wie die Nationalhymne.
Dafür aber durchaus geeignet das Besondere im identischen des Weihnachstfestes zu konkretisieren: Ich lese aus dem ersten Brief an Timotheus im, dritten Kapitel den V 16:
Groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens:
Er ist offenbart im Fleisch,
gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln,
gepredigt den Heiden,
geglaubt in der Welt,
aufgenommen in die Herrlichkeit.
Dieses Lied, dieser Hymnus ist so etwas wie ein Kompendium christlicher Glaubenssaussagen über den, dessen Geburt wir heute feiern. Dieses Lied, dieser Hymnus will eine Zusammenfassung sein, ähnlich der Sommerhymne 2006, die durch bloßes aufzählen der Jahreszahlen der eine Geschichte erzählen will. Was dort die Daten (54, 74, 90, 2010), dass sind hier die Verben: offenbart, gerechtfertigt, erschienen, gepredigt, geglaubt, aufgenommen. Diese Verben markieren den gemeinsamen Glaubensbestand der ersten Christenheit, und sind daher wie geschaffen für theologische Abhandlungen jeder Art. Von der es auch mannigfaltige gibt. Doch ich frage mich wozu? Was trägt es aus? Trägt es was aus, für diesen Heiligen Abend 2007, für dieses Jahr Weihnachten? Was nützt es mir zu wissen, dass Jesus in Bethlehem geboren wurde, das zu deutsch „Brothausen“ heißen würde? Was habe ich davon mich darüber belehren zu lassen, dass der Hymnus im Timotheusbrief dem Schema eines altorientalischen Thronbesteigungszeremoniells in Form von Erhöhung, Präsentation und Inthronisation nachempfunden ist?
Ich meine, nicht viel, außer, dass Bildung natürlich immer gut für den Menschen ist.
Aber lässt mich das Weihnachten feiern?
Erklärt das dieses besondere unverwechselbare Weihnachtsgefühl?
Wohl kaum! Oder?
Geht es aber nicht genau darum, diesem Weihnachtsgefühl nachzuspüren? Es für mich fruchtbar zu machen, als eine Botschaft, als eine Lebenshaltung, die weit über diesen Heiligen Abend hinausreicht? Eben das Besondere im identischen zu entdecken?
Das nun freilich schafft man nicht so leicht.
Man und frau muss es sich vornehmen und wollen, dann kann so etwas gelingen:
So etwas wie,
-Dass ich mich neu sehe. Meine Person in neuem Licht.
-Dass ich klarer sehe, worauf es im Leben ankommt.
-Dass ich Auswege aus Sackgassen meines Lebens finde und breite, überschaubare Pfade verlasse.
-Und auch, dass ich glauben kann, und beten.
Wie ein Kind.
Zu einem Kind.
Das macht das Besondere der weihnachtlichen Situation aus, dass kann jedes Jahr von neuem beginnen.
Schauen wir nicht auf die Verben, sondern auf die Substantive im Predigttext, dann wird schon klarer, worauf es am so genannten Heiligen Abend ankommt:
Fleisch
Geist
Engeln
Heiden
Welt
Herrlichkeit
Das klingt schon so ähnlich wie die Erzählung aus dem Lukasevangelium: So, als wolle jemand ein Kompendium der Weihnachtserzählung anhand von Substantiven versuchen: Gott, der unendliche geht ein ins Fleisch, in die engen Grenzen unserer raumzeitlichen Wirklichkeit. Nicht als ein Held, nicht als ein König, sondern einfach „nur“ als Mensch. So wie wir alle begonnen haben.
Auf Fürsorge angewiesen.
Auf Zuneigung;
Auf Gesang von Vater und Mutter.
Auf Streicheleinheiten, nicht nur des Kopfes, sondern auch der Seele.
Und natürlich aufs Sauber- und Sattmachen.
Kurz:
Auf alles das, was wir lange für selbstverständlich als elterliche Pflichten ansahen, von dem wir aber ahnen und in einigen Fällen auch wissen, das all das schon lange nicht mehr selbstvertändlich ist. Woran liegt es, so lässt uns gerade die Weihnachtsgeschichte als Familiengeschichte fragen; woran liegt es, dass einige Eltern ihren Kindern auf einmal nicht mehr Eltern, sondern Feinde sind? Sind wir eine „kalte Gesellschaft“, gegen die der Stall von Bethlehem gerade zu eine Wellness-etage ist?
Das kann man sich schon fragen! Immerhin stimmen über 30% der Aussage zu: „Menschen, die wenig nützlich sind, kann sich eine Gesellschaft nicht leisten“. Das ist schon allarmierend! Und dem widerspricht das Weihnachtsevangelium auf äußerste! Denn nicht irgendeiner, sondern Gott selbst gibt sich dran als ein Schutzbefohlener unter die Menschen zu kommen; Welches größere Veto gegen die Verzweckung und die Beurteilung eines Menschen anhand seiner Nützlichkeit und Verwendbarkeit kann es geben?
Ja, Gott liebt geradezu das Nutzlose.
Gott liebt das Zweckfreie.
Gott liebt einen Menschen einfach, weil er als Mensch da ist.
Deswegen kommt Gott als Mensch zum Menschen, das ist das weihnachtlich Entscheidende!
Hier gibt’s kein Ranking, kein besser oder schlechter, kein höher oder minderwärtiges Leben. An Weihnachten geht es um den Menschen. So wie er da ist, so wie er als Mensch ist, so wie er von Gott gewollt ist; Und ohne auf das zu sehen, was er geleistet hat, oder zu leisten im Stande ist oder noch sein wird.
Insofern widerspricht die Weihnachtsbotschaft auch jenen 40%, die der Ansicht sind „Wir nehmen in unsere Gesellschaft zuviel Rücksicht auf Versager.“ Erfolg zählt eben bei uns; bei wem der sich nicht einstellt, gilt als Verlierer. Versager unerwünscht! Dabei ist die Jesus Geschichte von Anfang an eine Geschichte des Scheiterns und des Versagens.
Wir haben uns nur daran gewöhnt in Stall und Kreuz die Insignien der Macht zu erblicken. Von seinem Ursprung her, ist der Stall aber nicht der ideale Ort für eine Geburt, schon gar nicht für die eines Königs und erst recht nicht für die des Königs der Welt. (Von der Todesstrafe am Kreuz einmal ganz zu schweigen.)
Einer „kalten Gesellschaft“, die keinen Platz mehr fürs Verlieren duldet kommt Gott in der Weihnachtsbotschaft entgegen, als einer, der die Menschen so liebt, dass er einer von ihnen wird.
Dadurch werde ich wertvoll; ja das Weihnachtsevangelium geht sogar soweit zu sagen, im Glauben daran werde ich selbst erst mit mir identisch.Ich werde zu dem, der ich von Gott her immer schon bin:
Ein von ihm geliebter Mensch, hinein genommen in seine Familiengeschichte;
Unabhängig davon, ob die Liebe meiner Eltern zu groß oder zu klein war oder ist.
Hinein genommen in seine Familiengeschichte, egal ob ich mich für nützlich halte oder tatsächlich erfolgreich bin!
Insofern ist es nicht verkehrt zugespitzt zu formulieren: Durch Weihnachten ist es möglich mit-sich-selbst- befreundet-zu-sein. Wer das für bloße Seelenwellnes hält hat die Tragweite des mit – sich – selbst – befreundet -seins noch nicht verstanden. Denn als Jesus die Weihnachtbotschaft später auslegt, tut er das bekanntlich mit den Worten, du sollst deinen Nächsten lieben –wie dich selbst! Das mit-sich-selbst-befreundet-sein geht der Nächstenliebe, die das Evangelium fordert offenbar voraus. Dieses „wie dich selbst“ aber scheint brüchig geworden zu sein in einer Gesellschaft, die meint sich wenig nützliches nicht leisten zu können.
Kann es da wundern, dass uns Jahr für Jahr dasselbe Gefühl, dieselbe Sehnsucht beschleicht, das Besondere des Angenommen seins in der identischen Situation des Weihnachtsfestes zu suchen?
Letzlich sehnen wir uns doch danach und trauern dem hinterher, dass Weihnachten nicht mehr so ist, wie wir es als Kinder erlebt haben, damals, als wir noch mit uns selbst befreundet waren, weil sich noch keine Spuren des Lebens tief in uns eingeprägt haben.
Damals hatten wir unmittelbare Freude, an Weihnachten.
Heute sind wir auf der Suche nach dem Besonderen an Weihnachten, weil wir es nötig haben zu hören, dass jemand zu uns kommt, der es gut mit uns meint. Gott meint es gut mit uns, darum feiern wir Weihnachten. Und dabei stellt sich jedes Jahr aufs neue ein besonderes, unverwechselbares Gefühl ein; das wir nie verlieren. Gott hat es in sich!
Das Christkind allzumal!