„Also entweder bis hier, oder bis dahin! Mindestens aber so.“ Meine Tochter steht mir gegenüber und zeigt mit ihrer rechten Hand eine gerade Linie bis zu der ihre Haare gekürzt werden sollen.
„Am liebsten gar nicht!“ –sage ich. Sieht doch gut aus. Und außerdem …
Alle Argumente sind zwecklos. Die Haare sollen ab, eine neu Frisur muss her: „Ich hab den Look jetzt schon ewig, ich will mal was neues ausprobieren.“ Gesagt, getan. Der Termin bei „Haar Klein“ ist auch schnell gemacht. Neben Schnitt und Farbe gibt es aber diesmal eine Besonderheit. Mindestens 25 cm müssen abgeschnitten werden. Und dürfen auf keinen Fall auf den Boden fallen. An beiden Enden der Zöpfe müssen Haargummis sorgfältig die Pracht gebündelt halten, denn sie sollen gespendet werden.
Die Friseurin staunt nicht schlecht. Sowas hat sie noch nie erlebt, obwohl schon etliche Meter Haar durch ihre Hände geglitten sind.
„Was macht man denn mit gespendeten Haaren?“ –will sie wissen. „Daraus werden Perücken für krebskranke gemacht“- sagt meine Tochter; nicht ohne Stolz in der Stimme. „Kann man auch im Internet ganz einfach finden: Einfach Haare-spenden bei Google eingeben!“
Vor dem verschicken mit der Post muss natürlich die neue Frisur bewundert werden. Nicht nur von Papa und Mama. Neuer Style und ungewöhnliche Spende eignen sich hervorragend für eine neue Insta Story. Gute Ideen müssen eben geteilt werden. Ich schlage kurz vor doch eben einen Klingelbeutel aus der Kirche zu holen um die Zöpfe dort halb hinein zu legen. „Warum das?“ bekomme ich zur Antwort. „Na, wegen Spende!“ –sage ich. „Ach, so, nee, das versteht doch keiner.“ –bekomme ich zu hören und denke, dass die Beutel jetzt nach einem Jahr nicht Gebrauch vielleicht noch angestaubter sind.
Haare spenden geht bei mir schon länger nicht mehr. Wo nichts ist, kann nichts gegeben werden. Trotzdem bin ich Langzeit-Spender. Seit damals diese gute Idee geteilt wurde. Nicht im Internet, sondern auf großen Plakaten am Straßenrand und in Fernsehspots: „Mein Blut für dich!“ –stand da in großen Lettern. Heute (14.6.) ist internationaler Blutspendetag. Und auch wenn das deutsche Rote Kreuz diese Werbung nicht mehr schaltet, denke ich nach jeder Blutspende: Eigentlich müssten wir nachdem hier alles weggeräumt ist zusammen Abendmahl feiern. Würde doch passen. Nicht nur irgendwie, sondern ganz konkret. „Mein Blut für dich, du Nächster“ –sage ich. „Mein Blut für dich, du Mensch“ –sagt Jesus. Muss man so nicht verstehen, darf man aber. Und das ist gewiss kein alter Zopf.
Dieser Beitrag wurde am 14.6.2021 bei Kirche im WDR gesendet.