Keine Termine

Der Blick in den Terminkalender verheißt nichts Gutes. Die Ferien sind gerade vorbei, da geht alles wieder los. Die ganz normale Arbeit. Das Sich Abhetzen – von Termin zu Termin. Zum Einkaufen, zum Sport, der Grillabend, das Open-Air Kino, die Partei, die Kirche. Und plötzlich wird Opa auch noch 80!

Was früher ins gute alten DIN A5 Format gepasst hat, erscheint heute in schönen farbig abgesetzten Balken auf dem Bildschirm. Jedenfalls wenn man die digitale Variante wählt und das tun bekanntlich immer mehr Menschen.  Als kürzlich der Google Kalender down gewesen ist, haben  Sie da noch auf Ihre Termine zugreifen können? Im Netz  ist die Empörung natürlich groß gewesen. Empörung geht ja eigentlich immer. Hier und da hat es aber auch Erleichterung gegeben: „Hey, klasse“, schreibt da jemand, „ich habe keine Ahnung, wo ich in 30 Minuten sein soll, gehe jetzt Eis essen.“

Vermutlich ist der Nutzer jünger als 25, sitzt vor seinem Laptop und programmiert fleißig vor sich hin, ohne überhaupt einen Termin zu haben. Aber dennoch hat er eine Vorstellung davon, was es heißt, eine Unterbrechung zu bekommen. Wie damals in der Schule: Vertretungsstunde oder besser noch: Hitzefrei. In den Park gehen, unter einen Baum setzen, die leicht kühlende Luft auf der Haut, zu sich kommen. Und dann die Entdeckung machen, die einst Nathanael gemacht hat.

Nathanael ist einer der ersten Nachfolger von Jesus gewesen. Er ist ein Skeptiker besonders in religiösen Dingen. Als seine Freunde ihm von dem Wanderprediger erzählen, den man unbedingt gehört haben muss, winkt er nur ab: Nazareth, eine Gegend in der man nicht tot über dem Zaun hängen will und da soll was Weltbewegendes passiert sein? Im Leben nicht! Trotzdem geht er mit seinen Freunden hin. Als Jesus ihn anspricht, reagiert er genervt: „Kennen wir uns etwa?“ „Ja“, sagt Jesus, „Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen.“

Viele kluge Leute haben sich nun Gedanken gemacht, was da unter dem Feigenbaum passiert ist. Hat Nathanael etwas Verbotenes gemacht, hat er  sich deshalb ertappt gefühlt? Hat Jesus hellseherische Fähigkeiten, laufen ihm vielleicht deswegen so viele Menschen hinterher?

Vermutlich ist unter dem Feigenbaum gar nichts passiert, vielleicht hat er noch nicht einmal dort gesessen. Vielmehr: Der Feigenbaum ist in der Bibel ein Symbol für Zugehörigkeit, heißt im Klartext: „Du bist schon einer von uns –  mit Haut und Haar und deinem Zweifel!“

Und so wird aus dem Skeptiker  ein  Nachfolger. Er sieht sich selbst plötzlich anders, seine Maßstäbe geraten ins Wanken und seine Vorurteile sind dahin. Ob das unter einem Baum, beim Eis, in der Freistunde oder gar auf Opas 80. passiert, ist zweitrangig. Es wird aber ganz gewiss nur passieren, wenn der Kalender keinen Eintrag hat. Sonntag zum Beispiel, da verheißt der Kalender meist Gutes!

Der Beitrag war am 13.9.2019 bei „Kirche in WDR2“ zu hören und kann hier noch einmal nachgehört werden.

 

Bild: https://unsplash.com/photos/zni0zgb3bkQ

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