Lange haben viele in der Kirche mit digitalen Formaten gefremdelt. Nur virtuell und nicht echt, schlecht kontrollierbar und Probleme beim Datenschutz waren nur einige der Bedenken. Digital erschien als fremde Welt. Seit Corona hat sich das geändert. Video- und Online-Gottesdienste, auch per Zoom, Podcasts und mehr Angebote in den Sozialen Medien gehören zum neuen Repertoire bei Kirchens. Uta Garbisch sprach mit Pfarrer Knut Dahl-Ruddies über Chancen und Grenzen dieser Digitalisierung.
Wir können oder wollen gerade nicht in die Kirche gehen, also verlegen Gemeinden sie ins Netz. Gute Idee?
Erstaunlich schnell haben sich die meisten Kirchengemeinden mit dem eigentlich ungeliebten Medium „Video“ angefreundet. Ich habe aber den Eindruck, dass es sich eher um eine Verlegenheitslösung als um eine Überzeugungstat handelt.
Die Grundfrage, ob und wie sich gottesdienstliches Geschehen digital umsetzten lässt, ist dabei wenig gestellt worden. Das mag einerseits an den technischen Fragestellungen liegen, die zu bewältigen sind und die oft noch das berühmte „Neuland“ darstellen, andererseits möchte man ohnehin ungern am 10-Uhr-Sonntagsgottesdienst „herumdoktern“. Allerdings ist es nach über einem Jahr Ausnahmezustand an der Zeit, grundsätzlicher zu werden. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf, weil der Online-Gottesdienst am sonntäglichen Frühstückstisch zu einer Dauereinrichtung werden wird. Aber ist es damit wirklich getan? Nach meiner Beobachtung, hat sich folgende Typologie etabliert: Der sonntägliche Gottesdienst in traditionell liturgischer Fassung wird inzwischen als „Präsenzgottesdienst“ bezeichnet. Eine Videoproduktion, die aufgezeichnet online gestellt wird, ist ein „Digital-Gottesdienst“ und wird gerne als Live-Stream-Ersatz eingesetzt, da technisch weniger anfällig. Ein aufgezeichneter (oder live gestreamter) Gottesdienst, bei dem Besucher unter Hygienevorschriften anwesend sind, wird als „Hybrid-Gottesdienst“ gehandelt. Das ist insofern unscharf, weil das „hybride“ eigentlich darin besteht, Beteiligung von außerhalb des Gottesdienstraumes (digital vermittelt) zu ermöglichen. Dazu braucht es Kenntnis von digitalen Instrumenten, die auch in der Bildungs- und Konfirmandenarbeit zum Einsatz kommen. Und es braucht den kompetenten Umgang damit. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Gerade auch im Hinblick auf andere kirchliche Handlungsfelder. Hier hat es einen regelrechten Abbruch kirchlichen Handelns gegeben, wie eine groß angelegte ökumenisch-internationale Studie (contoc.org) gezeigt hat.
Also eher eine ungenutzte Chance?
Soweit würde ich nicht gehen. Trotzdem hat sich etwas verändert: Dass etwas „nur virtuell“ und nicht „real“ stattfindet, wird zwar hier und da noch bemüht. Gleichwohl wächst die Einsicht, dass diese Unterscheidung nicht tragfähig ist. Gemeindeglieder, die sich nicht mehr an der Kirchtür für den Gottesdienst bedanken, sondern per E-Mail oder Telefon für den schönen Online-Gottesdienst, zeugen von „echtem Erleben“ und gerade nicht von einer 2.-Wahl-Erfahrung. Vielleicht bietet der sogenannte „ZOOM-Gottesdienst“ die besten Voraussetzungen, zumindest wenn es ein rein digitales Format sein muss. Er ist nämlich eigentlich ein „Präsenz-Gottesdienst“, bei dem die Besucher gemeinsam in einem (digitalen) Raum anwesend sind. Da er andere Voraussetzungen bietet als der Kirchraum, sind Veränderungen nötig. Die hieraus gewonnenen Impulse werden vielleicht auch den traditionellen „Präsenz-Gottesdienst“ verändern.
Wen sprechen Online-Gottesdienste vornehmlich an?
Erste Untersuchungen zeigen, dass die Mehrheit der Nutzer:innen Lokalkolorit schätzt. Statt des großen Fernsehgottesdienstes in ARD/ZDF stehen die vertraute Kirche und die bekannten Beteiligten im Vordergrund. Von jenseits der Parochie kommen nur wenige. Ebenfalls klein ist die Zahl derer, die sich mehr Interaktion bei den digitalen Angeboten wünschen. Das zeigt vielleicht, wie wenige Menschen aus dem Adaptiv-Pragmatischen oder gar dem Expeditiven Milieu kirchliches Interesse zeigen. Sich „an alle da draußen an den Geräten“ zu wenden, funktioniert genauso wenig, wie sich an „alle Gemeindeglieder vor Ort“ zu wenden. Onlinepräsenz verlangt erst recht nach Wahrnehmung der eigenen Milieu-Verortung. Es ist kein Geheimnis, dass Kirche da gar nicht so vielfältig ist, wie sie gerne glauben machen will.
Social Media bedeutet ja letztlich Kommuikation, Interaktion, auf Augenhöhe. Kann Kirche das?
Institutionen haben es schwer, wenn es um Social Media geht. Der deutsche Protestantismus ist denkbar schlecht für solche Aktivitäten gerüstet. Die Schwäche ist aber immerhin erkannt und so versucht die EKD mit der Unterstützung eines Netzwerkes von Influencer:innen (yeet.de) eine Kompensation. Übrig bleiben noch eine Reihe von Akteuren, wie Pressestellen und Öffentlichkeitsarbeit auf vielen Ebenen. Hier wird Social Media meist als „Kanal“ verstanden, während Nutzer:innen ihren digitalen Aufenthalt eher als „Raum“ verstehen. Auf kirchlicher Seite wird Digitalität als „Technik“ verstanden, während Nutzer:innen sich als Teil einer digitalen „Kultur“ erleben. Statt Digitalität als „Player“ gestalten zu wollen, sollte Kirche zunächst demütig zugeben, dass es ihr am Verständnis einer Kultur der Digitalität mangelt. Die Pandemie wirkt wie ein Vergrößerungsglas, unter dem die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre in aller Deutlichkeit zu Tage treten. Die Kirche steht staunend am Rand. Wenn sie klug ist, stellt sie fest, dass sie in der Vergangenheit zu zögerlich war. Wenn sie weiterhin darauf setzt, dass bewährtes fortgesetzt und neues gewagt werden muss, wird die Kraft dafür nicht mehr reichen.
Karikatur: Michael Hüter