Ob es erst so ist, seit ich eine Lesebrille brauche, weiß ich gar nicht. Aber manchmal denke ich: „Früher war alles besser.“ „Ist natürlich Quatsch!“ –muss ich mir dann schnell sagen und denke: Typisch Boomer, typisch Mann, typisch deutsch. Klar ist: Mit dem älter werden, wächst die Sehnsucht nach einer Welt, in der alles seinen Platz hat.
Auf der anderen Seite: Natürlich war früher auch etwas besser: Man war einfach jünger und die Welt, die entdeckt werden wollte, war spannend und bot augenscheinlich unendliche Möglichkeiten. Und vor allem hatte man es ja in der Hand, die Zukunft zu gestalten, die eigene und natürlich die der ganzen Welt. Aber war wirklich die frühere Welt besser? Im Ernst, möchten Sie zurück, das Leben unserer Eltern und Großeltern leben?
Nimmt man die Daten mit denen man Lebensqualität messen kann, dann sieht es heute bei weitem besser aus als vor 100, 50, ja sogar als vor 30 Jahren. Selbst die weltweite Armut ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker zurück gegangen als in den 500 Jahren zuvor. Trotzdem ist die Rede von der „guten alten Zeit“ überall präsent. Auf dem Wochenmarkt, in der Kneipe, auf Gesundheitsdemos sowieso, ja sogar in der Kirche.
Dabei muss es die Kirche besser wissen. Mit der Bibel liegt ihr ein Erfahrungsschatz vor, der nicht reicher sein könnte. Unzählige Generationen erzählen von ihrem Verhältnis zu Gott. Bereits 500 v. Christus überbringt der Prophet Jesaja seinen Mitmenschen diese Gottesbotschaft:
„Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43,18–19)
Offenbar waren die Menschen vor 2500 Jahren gar nicht so anders gestrickt wie wir heute. Ob sie ihre Meinung und ihr Verhalten geändert haben, ist leider nicht überliefert, aber dass Gott Neues schaffen kann, ist ein elementar christlicher Gedanke. Gott ist sozusagen der erste Kreative; derjenige dessen Blick in die Zukunft geht und der Veränderung herbeiführt. Nicht nur in der „guten alten Zeit“ war er am Werk, sondern ist es noch. Jetzt, dort wo Veränderung passiert, oft ohne das wir es mitbekommen .
Dass Gottes Kreativität einen festen Platz im Hier und Jetzt hat – darauf kann ich mich verlassen.
Dieser Beitrag wurde am 17.11.2020 bei Kirche im WDR gesendet.
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