Keine Gnade? (Röm.3,23-24) Predigt

Er kniet am  Boden.

Vollkommen  durchnäßt .

Es ist dunkel und regnet in Strömen.

Sein Gesicht ist verzerrt, die Augen geschlossen.

An seinem Kopf ein Revolver!-

Großaufnahme Gesicht.

Großaufnahme Finger am Abzug.

Wieder Großaufnahme Gesicht und gleich  wieder:

Finger am Abzug.

Der Zuschauer-also ich- genauso gespannt wie die Waffe.

Immer wieder hin und her zwischen den Großaufnahmen.

Doch dann,  nach  scheinbar  unendlichen  Momenten  voller

Angst  für  das  Opfer  und  Spannung  für  den  Zuschauer,

wird die Waffe vom Kopf in den Halfter gesteckt.

Erleichterung auf ganzer Linie. Sich entfernende Schritte, wieder in Großaufnahme.

Abspann:

Sie  sahen:  Der  Akt  der  Gnade!

Bleiben  sie dran, denn gleich geht’s weiter mit:

„Der Mann, der keine Gnade  kannte!“

-Werbung.

„das  muss  ich  sehn“  zap,

AUS.__

Es ist  schon  verwunderlich:  Sucht  man  danach,  wo  das

Wort Gnade begegnet, befindet man sich entweder im Kino bzw. vor dem Fernseher, in der Kirche, oder in Österreich, wo der Damenwelt noch die ihr angemessene Anrede zu Teil wird: „Gestatten gnä‘ Frau“.

Eine Ausnahme gibt es davon allerdings dann doch noch:

Staatsoberhäupter haben in aller Regel das Recht einem

„Gnadengesuch“ zu entsprechen oder es zu verweigern.

Um mit „Gnade“ zu tun zu bekommen muss man oder Frau

offenbar  Held,  Pastor,  Bundesprasident  oder  Östereicher sein!

Wie kommt das?

Wie kommt es, dass den meisten Zeitgenossen beim Thema „Gnade“  nicht  der  christliche  Glaube  -geschweige  denn der evangelische- sondern zuerst ein Western oder Actionfilm einfällt?

Hat der Glaube, wie ihn die Reformation mit ihrem „allein Christus“, „allein die Schrift,“ „allein die Gnade“, „allein der Glaube“ beschrieb, hat der Glaube so sehr an Aktualität und Bodenhaftung verloren, dass alles, was damit umrissen werden sollte in Vergessenheit geraten ist?

Das hielte ich allerdings für zu kurz gegriffen, vielmehr denke ich, dass viele Anliegen der Reformatoren zu einer Art Allgemeingut geworden sind.

Die Rede vom „lieben Gott“ -so undifferenziert und unsreflektiert sie auch sein mag -ist ohne ein Verständnis der Rechtfertigung aus Gnaden allein schlichtweg nicht denkbar.

Ehedem war Gott nur strafend und Richtend im Bewustsein der Menschen. Durch die Entdeckung der Reformatoren ist er zu einem gnädigen und _mit allen Schwierigkeiten die dahinter stecken_ zu einem „lieben Gott“ geworden.

Die Schwierigkeit, die sich hinter dieser Redeweise verbirgt, liegt auf der Hand:

Warum Gott  ein  lieber  oder  anders  gesagt  ein  liebender Gott ist, das ist offenbar in Vergessenheit geraten. Und das  wiederum  hängt  damit  zusammen,  dass  der  Begriff „Gnade“ nicht gerade in Ungnade gefallen ist, aber sich doch auf -wie wir sahen- Randgebiete verlegt hat.

Die Gründe dafür mögen vielfältig sein und sind hier jetzt nicht zu erläutern. Nur soviel: Dass wir in einem demokratisch verfaûten Staat leben, indem es keine Fürsten gibt, von deren Gnaden man und Frau abhängig ist, hat sicherlich dazu geführt, dass der Begriff seine bedeutende Stellung  in  der  Gesellschaft  verloren  hat.  An  die  Stelle  der Gnade,  die  beiden  Fürsten  auch  launisch  daherkommen und  in  Ungnade  umkippen  konnte,  ist  eben  das  „Recht“ getreten.  Demokratisch  legitimiert  und  mit  einem  Anspruch darauf.

Insofern  ist  es  gut,  dass  nicht  mehr  „die  Gnade  allein“, sondern das Recht regiert.

Und nun wird es spannend, denn scheinbar gibt es einem Unterschied zwischen Gnade und Gnade.

Wenn  die  Gnade  der  Fürsten  launisch  werden  konnte, kann das Gottes Gnade auch?

Offenbar  will  heute  Übersetzt,  erklärt  werden,  was  die Reformatoren unter „Gnade“ verstanden.

Dabei ist es kein Wort, dessen Wichtigkeit erst durch sie zutage getreten ist. Vielmehr ist es,-wie so oft- im Neuen Testament und hier besonders bei Paulus zu finden.

Von den 155 Stellen, an denen es im NT vorkommt, entfallen allein 100 auf Paulus.

Gnade ist beim Apostel also ein Hauptbegriff. Ja, zugespitzt kann gesagt werden.: Gnade ist bei  Paulus  der  Inbegriff der entscheidenden Heilstat Gottes in Jesus Christus.

Daher ist auch die Verwendung in den Briefanfängen und Schlüssen keine bloße Höflichkeitsformel.

Gnade ist dort nicht nur der Heilswunsch, sondern sie ist dadurch  ausgezeichnet,  dass  sie  die  Gnade  Jesu  Christi ist.

Pauluss  und  in  seiner  Nachfolge  die  Reformatoren  entfalten die Wirklichkeit und Mächtigkeit  der  Gnade  im  wesentlichen in der Auseinandersetzung mit dem  sog.  „Werkgerechtigkeitsdenken“.

Dies  besagt,  dass  es  ganz  bzw.  im wesentlichen auf das menschliche Hndeln, auf gutes Verhalten, auf den jeweiligen Lebenswandel, ja so könnte fast gesagt werden, auf die Redlichkeit und Integrität des Lebens ankommt, wenn es darum geht, dass  dem  Menschen Heil widerfährt.

Gnade dagegen heißt, dass es sich bei dem Heil, dass Gott den  Menschen  schenkt,  eben  ganz  und  gar  um  ein  Geschenk, um eine Gabe geht, an der der Mensch gar nicht, aber auch wirklich gar nichts mitzutun imstande ist.

Ja, das muss so  und  in  aller  Deutlichkeit gesagt  werden,  ohne   ein   vielsagendes   „aber…“   anschließen zu lassen. deswegen noch einmal:

Gnade ist nur dann wirklich Gnade, wenn der Mensch  in Bezug auf Gott und sein Heil, nichts aber auch gar nichts mitzutun imstande ist!

Selbst der Glaube eines Menschen ist nach reformatorischer öberzeugung ein gottgewirktes Geschenk und kann nicht als ein Verdienst oder eine Leistung des Menschen angesehen werden.

Am deutlichsten sagt der Apostel Pauluss im Römerbrief im 3. Kapitel. Übrigens das Kapitel, an dem Luther sein neues Verständnis der „Gerechtigkeit Gottes“ entdeckte.

In Röm 3, V23+24 schreibt Pls.:

„Denn  es  ist  ja  kein  Unterschied:  Alle  haben  gesündigt und  die  Herrlichkeit  verloren,  die  Gott  ihnen  zugedacht hatte und werden ohne verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlîsung, die durch Jesus Christus geschehen ist“

Evangelische  Verkündigung  der  Gnade  Gottes  geht  also aus von der Einheit aller Gnade in dem einen Geber. Insofern hält sie auch fest an der reformatorischen  Gleichsetzung des „allein aus Gnade“ und dem „Christus allein“. „Aus Gnade  allein“  und  „Christus  allein“  bezeichnen  ein und dieselbe  Wirklichkeit  des  mit  Gott  versöhnten  Menschen.

Diese  grundlegende  Beziehung  aller  Gnade  auf  Jesus Christus zu betonen ist notwendig, weil Gnade meist nur noch als ein Akt der Mitmenschlichkeit gesehen wird, ohne  seine  von  Christus  ausgehende  Wirklichkeit  in  den Blick zu bekommen.

Gnade ist zuerst und im engsten Sinn die Heilstat Christi für uns; im engeren Sinn ist sie gleichseitig auch die Zuwendung an die Menschheit und im weiteren Sinn auch eine Gabe der Schöpfung, mit allem, was dazu gehört, dann auch der Mitmenschlichkeit.

Am Schluss sei noch, gleichsam in einem Nebensatz Bezug genommen auf eine Meinung, die sich meist dann zu Worte meldet, wenn es um die Gnade geht.

Es wird gesagt:

In der Kirch sei oft von der Gnade zu hören -wenig allerdings vom Gericht.

Dies sei ein Mangel und zugleich eine Verkürzung des Evangeliums.

Dazu nur soviel: Wer meint Gnade und Gericht auseinander dividieren zu können, der liegt falsch.

Denn Gnade, sofern mit ihr die Heilstat in Jesus Christus bezeichnet wird, ist nur deswegen wirklich Gnade, weil sich gerade in  Jesus Christus  das  Gericht  ereignet,  das  den  Sünder  -also mich- treffen müsste.

Insofern gilt das, was Paulus bezüglich Tod und Sieg gesagt hat, auch für das Verhältnis von Gericht und Gnade, nämlich: Das Gericht ist verschlungen in die Gnade.

Wer also vom Gericht reden will, ohne von der Gnade zu reden, der verkürzt nicht nur das Evangelium, sondern redet zutiefst unevangelisch. Bestenfalls redet er vom Gesetz, niemals jedoch vom Evangelium.

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