Spende

Gänsehaut

Seine Stimme am Telefon klingt etwas brüchig. Er ist hörbar aufgewühlt. „Als ich das gelesen habe, bekam ich sofort ein Gänsehaut-Gefühl“, sagt er. Was war passiert? Die Lokalzeitung hat in einem kleinen Artikel über das Gefängnis, in dem ich arbeite, berichtet. Unmittelbar vor dem Eingang ist eine Frau überfahren worden. Lange bleibt sie regungslos auf der Straße liegen. Alle denken, sie sei bei dem Aufprall gestorben. Auch ihr Mann ist Zeuge des Unfalls,
denn er ist im offenen Vollzug. Zum Glück kommt schnell ein Rettungswagen. Wie durch ein Wunder sind, außer einigen schweren Knochenbrüchen, keine weiteren Verletzungen festzustellen. Die Ärztin im Krankenhaus meint: „Da war nicht nur ein Schutzengel am Werk, sondern ganze himmlische Heerscharen.“ Ein zweites Wunder ereignet sich dann am nächsten Tag im Gefängnis selbst. Der Lebensgefährte der Verunglückten hat nämlich nur noch wenige Tage seiner Haft vor sich. Er sitzt im Gefängnis, weil er zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, die er nicht hat zahlen kann. Knast statt Geld. So was gibt es. Die Haft kann aber sofort beendet werden, wenn der fällige Betrag beglichen wird. Und genau das ermöglichen die Mitgefangenen. Sie starten noch am Abend des Unfalls eine Sammelaktion und haben am nächsten Morgen eine mittlere dreistellige Summe beisammen, so dass der Mitgefangene entlassen wird. Er fährt zu seiner Frau ins Krankenhaus. „Ich würde mich gern mit einer Spende beteiligen“, sagt der Anrufer. „Gerne“, sage ich. Einige Tage später treffe ich die Organisatoren der Spendenaktion. Ob sie den Artikel in der Zeitung gesehen haben, will ich wissen. Haben sie nicht. „Wissen Sie, Herr Pfarrer, wenn man etwas tun kann, dann muss man etwas tun. Wie heißt es doch so schön: `Geben ist seliger als nehmen`! Sieh an, denke ich, ein Plädoyer für Großzügigkeit an einem Ort, an dem man es nicht erwartet. Als Predigttext für den Sonntag wähle ich diesen Vers aus der Apostelgeschichte (Kapitel 20 Vers 35) „Geben ist seliger als nehmen.“ „Krass!“, sagt ein Gottesdienstbesucher nach der Predigt bei einer Tasse Kaffee. „Ich wusste gar nicht, dass das in der Bibel steht. Aber eigentlich logisch. Jesus ist ja immer für die da gewesen, die nichts haben. Irgendwie schon `nen cooler Typ!“

Dieser Beitrag wurde am 11.1.2024 bei Kirche im WDR gesendet.

Foto: Unsplash

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