Dank Spotlight lässt sich auf dem Mac die gesamte Festplatte schnell durchsuchen. Normalerweise mache ich das selten. Doch jetzt war ich fest davon überzeugt irgendwo müsse es noch eine Predigt von mir zu Jeremia 9,22 geben. Und tatsächlich, war in die Untiefen der alten Atari 1040ST Daten eine Predigt zu finden. Aus dem Jahr 1994.
Auch wenn ich heute nicht mehr so predige (das war das erste Jahr in der Zeit des Vikariats) dachte ich: „Probiers doch mal mit einem alten Hund“. Und: Siehe da, die Rückmeldungen darauf waren so zahlreich, wie schon lange nicht mehr. Vielleicht sollte ich zu meinem „alten Predigtstil“ zurückkehren?
Hier nun die leicht überarbeitete Version (die dicksten alten Hunde sind schon rausgekürzt) 😉
„Sparen, liebe Gottesdienstgemeinde, sparen lautet das Motto der Stunde. Überall muss gespart werden. Öffentlich wie Privat, Staatlicht wie kirchlich.
Auf allen Ebenen, vom Land oder Ministerium bis zum kleinen Betrieb von der Landeskirche bis zur einzelnen Gemeinde. Und das schon seit Jahren.
Etliche Zahlen erhitzen Finanz- und Haushaltsausschüsse, eine Flut von Daten hält Presbyterien in Atem.
Nein, den letzten Satz streichen wir, damit es sich einer der Kandidaten nicht noch schnell anders überlegt, wenn es heute Abend darum geht die Wahl anzunehmen… Eigentlich wollte auch ich mich in die Liste der Sparer einreihen.
Ich dachte: Dieser Spruch Jeremias klingt so rund und selbstverständlich, dass ich ihn nur zur Kenntnis nehmen und bestenfalls noch „Ja“ und „Amen“ sagen kann. Das wäre doch mal eine kurze Predigt. Die kann ich mir sparen!
Es klingt fast wie ein „antikes Wort zum Sonntag“, was Jeremia hier schreibt.
Ein gutes, rundes Wort zum Thema „Weisheit, Stärke, Reichtum“
Gut und richtig, aber doch eigentlich selbstredend.
Doch mit dem Sparen ist es oft nicht so einfach. Es kann auch am falschen Ende gespart werden, wenn man sich nicht die Mühe macht noch einmal ganz von
vorne anzufangen. Alles muss von Anfang an noch einmal durchgegangen werden um zu entdecken, ob wirklich gespart werden kann.
Nach genauem „durchrechnen“ des Textes von hinten nach vorne und wieder von vorne nach hinten habe ich festgestellt, dass
Jeremias Spruch keineswegs so selbstredend ist, wie er mir zunächst erschien. Also ein neuer Anlauf den Text zu verstehen:
„Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker nicht seiner Stärke, ein Reicher nicht seines Reichtums.“
Die Reihenfolge überrascht etwas.
Heute würden wir vielleicht anders ordnen:
Reichtum Stärke Weisheit.
Also Geld, Macht, Bildung erscheinen eher gesellschaftliches Streben wiederzuspiegeln, wobei da noch zu fragen wäre, ob die Weisheit überhaupt in der Reihe einen Platz hat.
Doch ob Weisheit, Stärke, Reichtum oder umgekehrt; begrifflich hängen die drei zusammen und bedingen sich gegenseitig:
„Wissen ist Macht und die Mächtigen pflegen wiederum, reich zu sein. Weisheit, Stärke, Reichtum sind Variationen ein und desselben Themas. Sie sind verschiedene Ausdrucksformen der
menschlichen Allmacht.“ Jeremia proklamiert also nicht triste Moralität, nicht fromme Demut. Er formuliert kein Manifest typisch protestantischer Lebenshaltung im Sinne einer Verzichts- und Bescheidenheitsethik.
Es geht nicht um Menschen, die vieles nicht tun, was sie könnten, und vieles nicht dürfen, was sie wollen. Nicht um Verbote, die in der sogenannten Welt hoch im Kurs sind. Jeremia disqualifiziert nicht Bildung, Macht und Geld, sondern benutzt diese drei Begriffe um das Wesen der menschlichen Allmachtsvorstellungen zu beschreiben.
Das wird besonders an dem Verb „sich rühmen“ deutlich;
man könnte auch mit „loben, preisen“ übersetzen. Im Hebräischen wird eine Form des Wortes
benutzt, das auch im Deutschen bekannt ist, nämlich „Halleluja, lobt Jahwe, preist den Herrn“.
Mit rühmen ist also nicht bloßes prahlen gemeint, im Loben und Preisen steckt mehr:
„das Sich verlassen auf etwas“, das „Sich festmachen“ und „Gründen auf
jemanden“. Wer sich seiner Selbst rühmt, will sich auf sich selbst verlassen. Rühmen ist aber nicht grundsätzlich verboten.
Niemand kommt an dem Phänomen vorbei, das Anerkennung heißt. Und Anerkennung braucht man nicht nur vor den Leuten, sondern auch vor sich selbst.
(#The Voice; Konfi_zugabe ;-))
Man muss sich rühmen können,Besser: ich muss es können, Sie müssen es können; denn ein geglücktes Verhältnis zu mir selbst muss zur Sprache kommen und laut werden. Was Jeremia will, liegt aber auf einer anderen Ebene:
Worauf gründe ich mein Leben, worauf vertraue ich, was ist mein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Wie steht es angesichts dessen mit der menschlichen Allmacht?
Ich frage mich, was wohl Jeremias erste Zuhörer damals vor 2600 Jahren gedacht haben, als sie diese Worte zum ersten Mal hörten.
Als Bewohner des kleinen Staates Juda, also des Teils Israels, der nach dem Untergang des Nordreiches übriggeblieben war, waren sie Spielball im Machtkampf der altorientalischen Großmächte. Immer abhängig von den wechselhaften Entscheidungen verschiedener Könige.
Innenpolitisch erlebte Jeremia einiges an Weisheit, Stärke und Reichtum: politischen Opportunismus, Willkürherrschaft, Unterdrückung von Witwen, Waisen und Fremdligen. Ebenso Gewalt und Blutvergießen, Ausbeutung und Profitstreben, Untreue und Betrug, Verleumdung und Lüge.
Kaum zu glauben, dass vom 7. vorchristlichen Jahrhundert die Rede sein soll. Offenbar ist die Distanz zwischen den Zeitgenossen von Jeremia und uns heute gar nicht so gewaltig: Die Ergebnisse menschlichen Tuns nach dem Motto „nichts ist unmöglich“ liegen in beiden Zeiten offen zutage.
Doch Jeremia bleibt in seinem Spruch nicht bei der Negation, nicht bei der Kritik menschlicher Allmacht stehen.
Der Text nimmt eine Überraschende Wendung.:
„sondern wer sich rühmen will, der rühme
sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin…“
Es wird noch einmal deutlich, dass
nicht das Rühmen, das Sich verlassen auf etwas ausgeschlossen werden soll. Ich soll mich rühmen, ich darf mich verlassen.
Und jetzt antwortet der Text überraschender Weise nicht mit einem: „Verlasse dich nicht auf deine eigene Macht, sondern auf Gott!“
Nein, es heißt: „Rühme dich, dass du klug bist und Gott kennst“.
In meiner Beziehung zu mir selbst soll ich mich auf einen anderen, nämlich auf Gott verlassen.
Jeremia nennt dieses Phänomen Klugheit und Gotteserkenntnis, der Apostel Paulus nennt es Glaube.
Beide meinen
aber dasselbe:
– Ein Leben aus der Hoffnung, dass Gott mit seiner Welt noch nicht am Ende ist.
– Ein Leben, das sich von Gott getragen, von ihm geliebt und angenommen weiß.
– Ein Leben, das teil hat am Heilshandeln Gottes.
Dass ich mich in meiner Beziehung zu mir selbst auf einen anderen verlassen darf, ist mehr als eine Wortspielerei, mehr als ein intellektueller Rösselsprung.
Es heißt, dass Gott mich meint, mit mir zusammen sein will, mich kennt.
Es heißt sogar, dass ich erst weiß wer ich bin, wenn ich mich auf Gott verlasse.
Erst von Gott her weiß ich, wie es um mich
steht.
Empfange ich meine Identität von ihm her, lasse ich mir von ihm sagen, wer ich bin, entbindet mich das von der Suche nach mir einer stets neu zu entwerfenden Identität. Es macht mich frei für andere.
Der entscheidende Clou, die Pointe des Textes liegt aber darin, dass der Dreiheit „Weisheit, Stärke, Reichtum“ eine andere Trias, nämlich „Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit“ gegenübergestellt wird.
Damit werden nicht die schlechteren Güter gegen bessere vertauscht, verwerfliche Lebensziele gegen erstrebenswerte.
Vielmehr kennzeichnet die Entgegensetzung den unendlichen Unterschied zwischen Mensch und Gott.
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit kennzeichnen Jahwe, den Gott Israels.
Dies sind aber nicht Eigenschaften dieses Gottes, sondern Formen seines
Handelns in der irdischen Realität, sozusagen Zuwendung in Aktion.
„Ich bin Jahwe, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit macht, schafft, durchsetzt auf Erden.“
Besonders missverständlich erscheint mir der Begriff „Barmherzigkeit“. Zu schnell erscheint der barmherzige Samariter und der mildtätige Sankt Martin vor dem inneren Auge.
„Barmherzigkeit Gottes“ meint aber mehr als Wunden verbinden und Mantel teilen.
„Barmherzigkeit Gottes“ ist Beziehung stiftende Zuwendung, die auch in
schweren Konfliktfällen bleibende Zuwendung ist.
Diese Zuwendung geht allem voraus und voran.
Sie hält durch, wo ihr Zorn und Aggressivität begegnet. Selbst dort, wo ausdrückliche Ablehnung und Aufkündigung der Beziehung behauptet wird.
Auch dort gilt, dass „Gott Bund und Treue hält und nicht preisgibt das Werk seiner Hände“.
Wenn ich Barmherzigkeit höre, denke ich an etwas Zusätzliches, Außerordentliches, nur vorübergehend nötig und nicht alltäglich zu Gebendes.
In Israel denkt man genauer: Hier ist „Barmherzigkeit“ oder besser „Gnade“, die Bedingung der Möglichkeit für Leben und Zusammenleben überhaupt.
Zerstört werden menschliche Lebensbeziehungen durch Reichtum, durch Gewalt und instrumentalisierte Intelligenz.
Geheilt werden sie, indem nicht Hartherzigkeit, sondern Gnade, nicht das Recht des Stärkeren, sondern Gottes Gerechtigkeit zum Ziel kommt.
Nein, es ist kein Bild einer heilen Welt, das hier gezeichnet werden soll. Dazu war sowohl zur Zeit Jeremias als auch heute kein Anlass.
Natürlich ist die Frage berechtigt, wo es sich denn zeigt, dass Gott Recht schafft, dass seine Gerechtigkeit wirklich zum Ziel kommt.
Ist es denn nicht vielmehr so, dass immer noch das Recht des Stärkeren gilt, dass sich viel mehr Ungerechtigkeit breitmacht, als Gerechtigkeit sich ausbreitet? Wo ist das Recht, das Gott schafft angesichts der Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten müssen? Deren Eintreten für Demokratie mit Repression und Gewalt geahndet wird? Wo das Recht der Kinder, die auf der Straße leben? Wo das der Alten auf einen würde-
und liebevollen Lebensabend? Wo das der Jugendlichen auf Perspektiven für die Zukunft?
Dass Gottes Recht und Gerechtigkeit zum Ziel kommt, ist keine Wahrheit, die auf der Straße liegt und mit Händen zu greifen wäre.
Es ist eine Wahrheit, die wie Jeremia es sagen würde, in der Gotteserkenntnis gründet, die im Glauben Wirklichkeit wird.
Klein und unscheinbar, oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt kommt Gottes Recht daher.
Nie so, dass man sagen könnte: „siehe hier oder siehe da ist es“.
Der Glaubende lebt aber von der Hoffnung, dass Gott sich durchsetzten wird, dass er zum Ziel kommt und alle Tränen abwischen wird.
Auf dem Weg dahin weiß er sich mit hinein genommen in die Bewegung, die er
selbst erfahren hat: Gnade, Recht und Gerechtigkeit.
Nun könnte der eine oder die andere von Ihnen einwenden, ich sei doch sparsam gewesen zu sparsam.
Ich hätte denjenigen weggelassen, von dem Paulus sagt, Ihn allein möchte er kennen, nur Ihn rühmen. Christus den Gekreuzigten.
Doch kann ich keinen Unterschied zwischen dem erkennen, der uns von
Gott zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gemacht ist und dem, der Gnade, Recht und Gerechtigkeit schafft.
Es ist jeweils derselbe.
Diesmal ging es darum, Ihm vom Zeugnis Jeremias her nachzuspüren.
Ein andermal will ich auf Paulus hören.
Auch dann, so bin ich mir fast sicher, werde ich mir die Predigt nicht sparen können.
AMEN“