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Im Reformations-Truck nach Ohio

Wehmütig schaut Sabine B. aus dem Fenster ihres Büros nach Süden. Gerne wäre sie im Land mit den herrlichen Zwiebel-Kirchtürmen in Bayern. Wenn sie auf das Dach ihres Pfarrhauses steigt, kann sie bei gutem Wetter den Drachenfels sehen und doch träumt sie von einer Pfarrstelle am Chiemsee. Ob die Rheinländerin (48) sich auf dem dortigen kirchlichen Parkett zurechtfinden würde ist alles andere als ausgemacht, schließlich gehen die protestantischen Traditionen in deutschen Landen alles andere als synchron. Den meisten Kirchenleitungen gefällt das, sie schätzen produits reginaux, nicht nur bei Käse und Wein. Es scheint so, als könnte sich das in Zeiten, da über eine digitale Kirche nachgedacht wird, als Nachteil erweisen. Denn die Koordinierung an welchen Stellen über das Thema nachgedacht wird stockt und zwar merklich. Seit der EKD-Synode 2014 (Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft) hat sich wenig getan. Als das die Jugend-Deligierten auf der Synode im letzten Jahr anmerkten, wurde das Thema in den –Achtung!- Zukunftsausschuß verwiesen. Soweit so schlecht, zeigt es doch wie wenig eine Kirche, die immer betont „nahe bei den Menschen“ sein zu wollen, wirklich bei den Menschen ist. Es darf vermutet werden, dass in den einzelnen Landeskirchen sehr unterschiedliche Einschätzungen zu diesem Thema vorliegen, ein Umstand, der zur Normalität im Umgang miteinander geworden ist. Ein ranghoher EKD-Vertreter bezeichnete kürzlich bei einer Veranstaltung ganz in der Nähe des Drachenfelses, die Ordinationspraxis der dortigen Landeskirche als „chaotisch“.

Seit kurzem gibt es immerhin eine Gemeinsamkeit mehr zwischen der Kirche von Sabine B. (Evangelische Kirche im Rheinland, ekir) und der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern, elkb: Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 ist nun in beiden Kirchenverfassungen verankert. Was im Rheinland seit 1952 gilt, wird in Bayern 2017 beschlossen, für protestantisch gebildetes Fachpublikum keine große Sache, denn dieses weiß auch, dass sich die evangelischen Konfessionen erst seit 1973 gemeinsam um den Altar versammeln und gemeinsames Abendmahl feiern können. Trotzdem wird es so schnell nichts mit dem Umzug der rheinischen Pfarrerin an den Chiemsee, denn die Landeskirchen besetzen ihre Pfarrstellen mit Personal aus den eigenen Kirchen. Alles zwischen Wesel und Saarbrücken ist für Sabine B. als Seelsorgerin denkbar, der Chiemsee bleibt noch einige Jahre ein Traum, bis die Personaldecke der evangelischen Kirchen so ausgedünnt ist, dass sich die Verleihung der Anstellungsfähigkeit auf die gesamte EKD erstreckt.

Aber warum möchte Sabine überhaupt an den Chiemsee, wo es doch am Rhein so schön ist? Sie hat in erfahren, dass es dort weniger Geld gibt, das um den Kirchturm herum verwaltet werden muss. Gemeindearbeit mit weniger Geld gestalten! Was wie ein Plot für eine RTL-Serie „Pfarrstellentausch“ klingt, könnte tatsächlich zu einem innerevangelisch Lernprozess beitragen. Würde ihr Kollege vom Chiemsee tatsächlich an den Rhein kommen, hätte er die Verhältnisses, die er einfordert, denn im Schatten des Drachenfelses bleibt deutlich mehr von der Kirchensteuer am eigenen Kirchturm hängen. Gar nicht so toll, findet die Rheinländerin, denn die knapp zwei Millionen Euro machen ihr eine Menge Arbeit und im Pfarrdienstgesetz heißt es: „Pfarrerinnen und Pfarrer haben die ihnen obliegenden Aufgaben in der Verwaltung, der pfarramtlichen Geschäftsführung, der Kirchenbuchführung und in Vermögens- und Geldangelegenheiten sorgfältig zu erfüllen.“ Ohne viel ehrenamtliche Unterstützung ist nicht zu schultern. Im Radius von drei Kilometern stehen nicht weniger als drei Kirchtürme samt eigenen Gemeindezentren, die in die Jahre kommen und gepflegt werden wollen. Wenn sie den Vorsitz im Presbyterium innehat, ist sie Ansprechpartnerin und Dienstvorgesetzte von gut 20 Mitarbeitenden. Da in ihrer Dienstanweisung festgehalten ist, dass sie auch regelmäßig Besuche bei ihren 3500 Gemeindegliedern machen soll, gerät sie immer wieder an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Immerhin hat die Gemeinde ihre Stelle auf 75% Stellenumfang reduziert, um einen „Gemeindemanager“ bezahlen zu können, der Termine in den Google-Kalender einpflegt, sich um die Webseite kümmert und daran arbeitet, dass die Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. Der Gedanke mit einem Bankdirektor bei Lachshäppchen 150.000 EUR Spendengelder für ihre Gemeindearbeit am Chiemsee einzuwerben, erscheint ihr deshalb verlockend.

Die Kirchensteuerflut der vergangenen Jahrzehnte wird versiegen und die Diskussion wie mit weniger Mitteln die zahlreichen kirchlichen Handlungsfelder aufrecht zu erhalten sind, ist in vollem Gange. Sicher ist ihr nicht mit einer Umverteilung der Steuergelder von „oben“ nach „unten“ beizukommen. Das hat auch der Ratsvorsitzende der EKD (ein Ehrenamt) und Bischof der evangelischen Christen in Bayern verstanden. Allerdings: Der Handlungsdruck ist überschaubar. Im Jahr 2016 konnte das höchste Kirchensteueraufkommen seit Gründung der Bundesrepublik verzeichnet werden; bei gleichzeitig niedrigstem Mitgliederbestand.

Gut, Sabine B. existiert nicht, sie könnte allerdings auch Andreas heißen. Der Drachenfels könnte in Wuppertal oder auf der KÖ in Düsseldorf stehen, an einigen Stellen in der Kirche würden sich die Verhältnisse gleichen.

Sie würden sich allerdings auch nicht ändern, wenn, wie gefordert, Funktionsstellen in Landeskirchenämtern abgebaut und das gesparte Geld an die Ortskirchengemeinden verteilt würde. Lediglich der Ort endloser Strukturdebatten würde sich ändern. Ob es sich dabei um Titel wie „Zeit für das Wesentliche“ oder „Profil und Konzentration“ handelt, ist zweitrangig. Die Überforderung der jeweiligen Gremien liegt in Variationen der immer gleichen Prämisse: Der Bewahrung des Bewährten bei gleichzeitiger Forderung Neues entstehen zu lassen. Diese Formel ist, seit dem der Cheftheologe der EKD Thies Gundlach von der ausgegebenen Losung „Wachsen gegen den Trend“ abgerückt ist, zum Allgemeinmantra geworden. Was aber genau wesentlich ist in den kirchlichen Handlungsfeldern und was nicht, ist höchst strittig, auch an der Basis der Ortsgemeinde. Könnte es sein, dass der Geldfluss in den letzten Jahrzehnten die Debatte über die wesentlichen Aufgaben von Kirche verhindert hat? Die Zeiten in denen jedes „nice to have“ Handlungfeld beackert werden konnte, scheint jedenfalls vorbei. Ob den Herausforderungen einer immer mobileren und digitalisierteren Gesellschaft mit verstärkt territorialen Konzepten begegnet werden kann, bleibt allerdings fraglich.

Sabine B. hat ihren Kollegen am Chiemsee über Facebook ausfindig gemacht. Sie hat ihn auch gleich an seinem Profilbild mit Talar und lutherischem Beffchen erkannt. Sie haben sich zum skypen verabredet. Gern hätten sie ein Kölsch oder Weißbier miteinander getrunken, aber der Weg ist weit und wenn sie sich länger als 24 Stunden außerhalb des Pfarrhauses aufhalten, müssen sie bei ihrem Vorgesetzten ihre Abwesenheit anzeigen. So prosten sie sich über die Monitore ihre Laptops zu, mit Rotwein und etwas Baguette. Nach einigen Gläsern von der Frucht des Weinstocks kommt ihnen eine Idee: Wie wäre es, wenn die Reformationsbotschafterin am 1.November in den Reformationstruck steigt und nach Cleveland, Ohio reist. Am dortigen Sitz der United Church of Christ, könnte sie in Erfahrung bringen, was beim Aufbau einer digitalen (Bezahl-)kirche zu beachten ist. Da im Truck genug Platz ist, würde sogar eine ökumenische Reise möglich sein. Wenn bei der Rückkehr aus der Reformationsbotschafterin eine Digitalbotschafterin geworden ist, wäre schon viel gewonnen.

Sabine B. klappt ihren Laptop zu und geht zu Bett. Am anderen Morgen kann sie sich noch erinnern, wie sie sich auf evangelisch-katholisch.de eingeloggt hat. Da waren viele Menschen, die sich der Kirche fremd und gleichzeitig verbunden fühlten. Sie geht zum Computer um die Logins zu prüfen, aber da war nur eine abgelaufene Skype-Sitzung. Schade eigentlich.

 

 

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1 Kommentar zu “Im Reformations-Truck nach Ohio

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