Karfreitag. Schluss, Ende, Aus. Johannes 19

Abschiedsszenen sind in der Regel schwierige Szenen.

Das gilt nicht nur für Regisseure. Das gilt nicht nur im Film.

Im richtigen Leben ist es meist noch schlimmer.

Kein Bahnsteig, keine in die Nacht verschwindenden Rücklichter eines Zuges.

Kein Flughafen, kein Abheben und davon fliegen zu einem neuen Leben.

Stattdessen: Wohnungstüren, Krankenhausbetten, Friedhöfe, Leichenwagen.

Unsere Abschiede sind nicht glamourös, dafür meist schmerzlicher:

-Auch eine SMS mit dem Inhalt: „Schluss, Ende, Aus“ kann überaus schmerzlich sein, zerrinnen doch Träume, Hoffnungen, Lebenspläne in Sekunden.

-„Ich kann nicht mehr mit dir leben, die Kinder bleiben bei mir“, das ist gar nicht so selten das schmerzliche Ende dessen, was vor Zeiten noch mit „ich will dich lieben und ehren“… begann.

-Dann, wenn es zum letzten Abschied geht, fehlen erstaunlicher Weise keine Worte.

Im Gegenteil: Viele Worte werden gemacht: „Das wird schon wieder, wenn du erst mal wieder zu Hause bist. Kopf hoch!“ Dabei ist nichts mit „Kopf- hoch-es-wird-schon-wieder“. Es wird eben gar nichts, außer es wird alles nur noch schlimmer, weil der Tod kommt und mit ihm das Ende all unserer menschlichen Möglichkeiten.

Der Tod als das Ende all unserer Möglichkeiten, er macht uns offenbar geschwätzig, weil wir das Schweigen nicht aushalten, das Sterben nicht wahrhaben können. Und wenn wir es könnten, dann wollten wir es nicht. Weil es uns an der Wurzel packt. Weil es uns bei unserem Menschsein, weil es uns bei unserer Lebendigkeit packt und damit ein Ende machen will.

Der heutige Karfreitag macht damit ernst! Er stellt uns bloß. Er macht uns nackt.

Er sagt: Schluss, Ende, Aus. „Tod“ sagt er.

Nicht friedlich, nicht einschlafen, nicht sanft. Sondern: Brutal, häßlich, stinkend, sadistisch. Auge in Auge mit dem hingerichteten Sterbenden, der einem die Augen öffnete für die Liebe Gottes. So schildert der Evangelist Johannes die Karfreitagsszene in seinem Evangelium.

Joh 19 die VV 25-30:

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied.

Eine schreckliche Abschiedsszene!

Keiner der unten Stehenden bringt die Kraft auf mit dem scheusslich Hingerichteten zu sprechen.

Die Grässlichkeit des Abschiedes bringt die Geschwätzigkeit zum Schweigen.

Nur einer redet: Der Gemarterte! Er redet keine der so berühmten letzten Worte verstorbener, großer Persönlichkeiten. Er offenbart keine Vision, gibt nichts bahnbrechendes zu Denken auf den Weg.

Kein theologisch Vermächtnis, nichts theatralisches.

Der hingerichtet sterbende Jesus redet von Versorgung. „Frau“ damit ist seine Mutter gemeint „das ist dein Sohn“. Und an den Jünger der Satz: „Siehe, deine Mutter.“ Der Jünger soll  sich nun von Stund an um die Mutter Jesus kümmern, als sei es seine Mutter. (Und er tut es dann auch.) Der, dessen Abschied unausweichlich ist, der, zu dem alle Beziehungen im nächsten Augenblick abbrechen werden, derjenige setzt und ermöglicht es noch neue Beziehungen entstehen zu lassen. Er, dessen Beziehung zu Gott ihm mehr als fraglich geworden zu sein scheint, richtet den gefesselten und gequälten Blick weg von der Marterszene hin zum Nächsten. Zu dem, der neben mir steht und genauso geschockt ist wie ich.

Jesus wendet den Blick der unten dem Kreuz stehenden weg vom Kreuz, aufeinander zu!

Die Kreuzesszene ist eine Szene zum Wegschauen. Ich mag sie nicht mehr sehen. Ich mag wegschauen.

Wegschauen geht aber nicht, weil sich in dieser Szene doch das millionenfache Leid derer anschauen lässt, die ähnliches, schlimmeres, unmeschliches, täglich erleben müssen, ohne dass wir es anschauen müssten. Wegschauen geht nicht, weil sich in dieser Szene die Frage nach Gott in aller Dringlichkeit stellt, aber bedauerlicher Weise keine Antwort findet. So macht der Karfreitag wirklich ernst mit der Frage nach einem Abschied –auch von Gott. Vorschnelle Deutemuster –auch theologische- nehmen die Bitterkeit, die Ausweglosigkeit und die Sinnlosigkeit des Geschehenen nicht wahr. Und sie nehmen mich nicht ernst mit meiner Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, mit meinem ausgeliefert sein.

Jesus verweist bei seinem leidenen Abschied die leidtragenden Zuschauer aneinander und aufeinander. Das macht das Geschehen nicht ungeschehen.

Das macht das Gesehene nicht leichter oder erträglicher.

Es eröffnet aber eine neue Sichtweise. Der Blick geht weg vom Schrecklichen, weg vom Kreuz hin zum Nächsten, weg vom Augenblick hin in auf die Zukunft.

Und wer er dann doch noch sein berühmtes letztes Wort spricht, wenn es dann doch noch zum „Es ist vollbracht“ kommt, dann scheint hier der Blick weggewendet vom Kreuz, hin zu dem was wir dann noch erwarten dürfen. Wir selbst können den Blick nicht abwenden. Zu schrecklich ist alles anzuschauen. Er wendet unseren Blick.

Auf die die mit uns auf dem Weg sind.

-auf die, die ebenso fassungslos neben sich stehen.

-auf die, denen Gott und sein Handeln fraglich geworden ist.

Damit macht Karfreitag eben ernst:

Es gibt nichts zu beschönigen, über nichts hinweg zu täuschen, es geht nicht weg zu schauen. Es geht nur: aushalten, Bitterkeit und Ausweglosigkeit ertragen und zulassen! Und es geht nur eins, uns einzugestehen, dass wir an einem solchen Tag nichts machen können.

Wir können nichts machen. Außer: Ihn sagen zu lassen: „Es ist vollbracht!“

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